11.10.2008
Tach aber auch!
Nein, kein folkloristischer Mythos, sondern hier in der Pampa, abseits der großen Ballungsgebiete und Städte gelebte -spürbare- Tradition: Das Leben der Gauchos in Rio Grande do Sul. Brasiliens südlichstes Bundesland mit großräumiger Vieh- und Landwirtschaft. Die Guarani-Indios haben das weite Steppen-Grasland mit seinen dichten Wäldern, Hügeln, Flüssen und Seen so genannt: PAMPA; die ursprüngliche Heimat der Viehhirten und Pferdereiter mit fast akrobatischem Geschick. Wortkarg, etwas "rauh" anmutende aber sehr hilfsbereite und freundliche Menschen, die im ausgehenden 17.ten bis Ende des 19.ten Jhrdts. hier den Großgrundbesitzern auf den riesigen Landgütern und Herrensitzen ein damalig sorgenfreies und luxuriöses Leben ermöglichten. Diese Güter lieferten als selbstversorgende Fazendas das (Trocken-)Fleisch in die ganze Welt.
Der Fazendeiro selber arbeitet selten mit und genoß seinen von den Gauchos hart erarbeiteten exorbitanten Reichtum meist in den aufblühenden Großstädten am Atlantik: Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Porto Alegre. Hier waren die Fairas für die Produkte (Fleisch). Und der Faira (=Markt) blühte bis in die Anfänge des 20.ten Jhrdts., als die Alte Welt nach Lebensmitteln/Fleischprodukten (nach beiden Weltkriegen) hungerte.
Der Gaucho war, nicht nur dem Cowboy gleich ein Viehhirte, sondern auch die Miliz des Landes und in Kämpfen mit den einfallenden, räuberischen "Nachbarn", meist aus Argentinien und Uruguay, furchtloser wie gefürchteter Streiter und Kämpfer für seine Heimat und die (Land-)Rechte seines Herren.
Und hier, weitab (ca. 300 km!) von den Küsten-Mega-Metropolen (Porto Alegre oder Rio Grande etc.), ca. 3-4 Schnellbus-Fahrtzeiten, da leben wir in der weiten, grünen und hügeligen Landschaft mit fast ausschließlich bäuerlichen Strukturen. Vereinzelte kl. Städtchen sichern die Versorgung und bieten Märkte und "Lebensmittelpunkte" an Kultur, Verwaltung und "Shopping-Aereas" sowie die medizinische Versorgung. Sie sind zugleich auch "Verkehrsknoten-Punkte" und quirliges Leben auf Alleen und in den Straßen prägt sich das Bild einer Modernität mit Hochbauten und noch vielen architektonischen Zeitzeigen einer prächtigen, kolonialen Vergtangenheit mit üppigem, barocken Gepräge und beeindruckenden Fassaden in allen Pastelltönen. Reger Verkehr, Straßencafes, Restaurants und etwas touristisches Gepräge und landestypischer "Lärm" heißt hier Stadt.
Unser kl. Dorf in der Pampa bietet nichts dergleichen. Ein paar kl. Geschäfte mit vergleichsweise spärlichen Angeboten, ein Mercado, einige Lagergeschäfte für die Landwirschafts-Versorgung, Tankstelle und ein Posten für die medizinische Grund-/Notversorgung und zwei kl. (ev./rk.) Kirchlein mit "seltsamen" Friedhöfen. Alle an einer Straße weiträumig verteilt gelegen. Ja... ein kl. Restaurant nebst "Hotel" konnten wir noch -überrasct- "entdecken".
Das Rathaus mit Feuerwehr, Polizei und eine Schule und... ich hab garantiert nichts wesentliches vergessen. Außerdem Staub von den Schotterpisten und den selten übermäßigen Verkehr auf den Holperpisten. Meist sehr früh am Morgen und zur beginnenden Dunkelheit des frühen Abend (etwas auch zur Mittagszeit, wenn Schulbusse die Kinder und Arbeiter nach Haus zur "Siesta" bringen); das ist dann die dörfliche Rushhour. Sonst liegt Morro Redondo, das Dorf auf dem "Runden Berg/Hügel" friedlich-dösend und mit weitverstreuten, meist eingeschossigen Häusern in der warmen Frühlingssonne und träumt von vergangenen Zeiten, als hier Obst- und Land-/Viehwirtschaft segensreiches Auskommen und Expansion versprachen. Aber... all dies ist schon seit bald 1 1/2 Jahrzehnten Vergangenheit. So wie der Gaucho nur noch ein Mythos ist und -fast- ausgestorben ist/scheint!
Aber... wenn auch aus dem wilden Weidereiter meist ein genügsamer Bauer oder Busfahrer oder Handwerker geworden ist, die Liebe zur "Freien Natur", zur Pampa ist seine Lebensphilosophie und sichtbar in der bes. dörflichen Lebensart und Sparsamkeit. Sein -einfaches- Haus, meist mit quadratischem Grundriss und allseit spitz zulaufendem Ziegeldach baut er selber, wie auch die Stallungen (oft nur aus Holz aus eingenem Wald) und Werkstätten etc.. Nachbarschaftshilfe machts bauen unds leben von/mit Gütern seiner Nachbarn (Milch, Eier, Fleisch und/oder Gemüse), die ebenfalls Selbstversorger sind, bezahlbar.
Heute ist der einst so "freie" Gaucho meist ein Tagelöhner. So wie der dunkelhäutige Paulo-Cäsar hier auf der Fazienda als Faktotum und "Guter Geist" wirkt und von Sonnenauf- bis -untergang handwerkelt oder auf den Weiden ist oder die Felder bestellt und das Haus hegt. Er ist noch in der Tradition des Gauchos sichtbar verhaftet. Trägt die Lederstiefel, in denen die Pumphose locker überständig sitzt. Stolz ist er auf seinen kleine, runden Hut und das kleine Häuschen, etwas abseits vom Farmhaus - natürlich selbst erbaut.
Das Trinkwasser kommt aus eigenen Quellen und ist schmackhaft, kühl & frisch und sauber. Die Abwässer weden in Klärgruben (Drei-Kammer-Faulsystem) hygienisch entsorgt. Und wenns klappt, kommt auch 220 V an Elektrizität ans/ins Haus. Sonst brummt ein (Diesel-)Generator oder die Photovoltaik-Anlage (selten!) liefert die Energie. Gas ist per Flasche probate (Koch-)Energie in fast jedem Haus. Meist bullert aber ein altertümlicher Gußeisen-Kamin und Ofen mit Holz aus eigener Rodung und versorgt zudem uns mit Wärme in den noch kühlen Nächten und am frühen Morgen.
Eine Behaglichkeit, aus der Vergangenheit meiner Kindheit der vierziger und fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts wird mir wieder, wie bei so vielem hier in der Pampa um den "Runden Hügel" bewusst. Pferdekutschen, Reiter, Gauchos auf den Weiden, Holzofen-Düfte und eine seltsam anmutende Friedlichkeit und Ruhe beherrscht die Gegend um uns. Und in Morro Redondo döst und träumt man wie wir - wie ich unterm Zimtbaum und Schatten vom Feigenbaum. Eine Kakophonie von zwitschern und trällern, gurren und gackern, muhen und kreisende Raubvögel, kreischende Papageien und ab und an eine Staubfahne von einem PKW/Bus oder eines der rieseigen Gefährte auf der (L)Sandstraße nach Pelotas - überlange LKW-Monster, dies hier zur Versorgung braucht.
Nichts scheint hier den Frieden zu stören. Düfte von Zimt, unbekannten Blumen und Blüten und vom nahen und sich talwärts schlängelnden Murmelbach kommendes "zartes" Geplätschere. Der Blick kann weit über die Weiden und Flure gehen. In den Bäumen und Gesträuch sind knallig-bunte Blüten und die bei uns so teuer gehandelten Orchideen/Epophyten zu sehen. Sonne satt am azurblauen Himmel und... fast meine ich Lampiao, den legendären Cangaceiro mit seinem Schimmel und in Begleitung seiner wilden Reiterhorde mit dem Lied der Gauchos zu sehen und hören... "Olé, o Cangaceiro..., olé Tu me ensina a fazer renda. Que ente ensio a namorar!"
Virgulino Ferrera da Silva (04. Juni 1897), genannt "Lampion" (=Lampiao), wegen seines runden, großen Kopfes war der gefürchtete Teil des Gaucho-Mythos, der durch Verrat an dem als "Robin Hood" 1938 und gejagten Viehhirten und Banditen (Mörder und Räuber) durch Erschießung endete. Den seinen Kopf und den seiner Maria und engen Vertrauen hat man von Ort zu Ort und in den Städten, in einer fragwürdigen Schau, ausgestellt, um zu demonstriefen, daß das wilde Leben des "Helden der Armen" im <Sertao> durch Polizei und Militär ein Ende gefunden hat.
Aber der Mythos lebt und wurde sogar 1952 von Lima Barreto -preisgekrönt- als "CANGACEIROS" verfilmt und kam weltweit zum Erfolg; besonders das Lied über die "Spitzenklöpplerin" = MULHER RENDEIRA war als Soundtrack ein langgespielter "Ohrwurm" in der ganzen Welt!
Erst 1969 (!) wurden die Leichen von Lampiao (Köpfe) und seiner Maria Bonita und die der anderen "Banditen", als "Helden der Armen" beerdigt. Seit dem heißt es, auch hier im Gaucho-Land, hinter vorgehaltener Hand, wenns wieder schlecht ums Land und Leute steht, man den "Lampiao" wieder am weiten Horizont auf seinem Schimmel reiten sieht, (*1) um den Bedrängten und Armen - besonders den einsamen Frauen - "beizustehen": Olé!!
Viele Geschichten gibts um die Gauchos und ihr entbehrungsreiches, karges Leben. Nächste Woche, am Freitag wirds hier, zu Ehren von Don Oswaldo und seiner Eveli, ein großes Gaucho-Fest in Morro Redondo geben. Sehr, sehr gespannt beobachten wir die schon anfangenden umfangreichen Vorbereitungen und spüren die spannende Vorfreude im Haus und Dorf der Gauchos! Meist als sog. Cafuso (Mischung negroider-indogener und europäischer Abkunft) originär anzutreffen.
Also... ate logo, Angirusos... ich höre schon die Klänge der Berimbau!
Eure olle Weinnase
(*1) "Wolkenbilder" lassen diesen Mythos hier fast erkennbar werden!
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