12.10.2008
Tach aber auch!
Seit den letzten Tagen ist eine seltsame Spannung, ja fast schon hier eigentlich unbekannte Hektik spür- und sichtbar. Denn der massige Neubau von Oswaldos >Casa Grande< wurde mit teuren, glasierten Ton-Dachpfannen eingedeckt. Gerade rechtzeitig vor dem ersten, langersehnten großen Frühlingsregen in der Region Morro Redondo (RS).
Als mich heute gegen 6:00 Uhr die Hühner weckten und der erste Lichtschimmer den Tag verkündete, sah ich die drohenden, dunklen Wolken horizontweit. Dichtes blau-grau und bedrohliche schwarze Bewölkung signalisiert ein drohendes Unwetter in der Pampa. Die letzten Pfannen müssen noch gedeckt werden. Diesem Umstand ist die für Oswaldo und seine Crew so ungewöhnliche Hast und Hektik zu verdanken.
Die >Casa Grande<, das neue Herrenhause, ist als sog. Alterssitz für die Eheleute Degen gedacht. Und ohne Dach, Fenster und Türen sind die Sorgen der Bauherren Degen doch groß und Oswaldo drängt auf fachmännische Fertigstellung seines Domizils in der Pampa. Knapp 500 m hügelaufwärts vom alten Farmhaus gelegen.
Gestern, zur frühen Nacht, wurde "die Kuh" für den Festschmaus gebracht. In Form von ca. 50 kg. an bestem, ausgelöstem Fleisch (ohne Knochen, Innereien und Haut/Fell und riesigen Mägen) bester Qualität eines Weiderindes. Dunkelrot und marmoriert lag es auf dem ausgezogenen Küchentisch und wurde für das kommende Grillvergnügen flott und fröhlich präpariert (=desfiado), das Churrasco heißt und der guten Tradition der Gauchos in der Pampa entspricht = "Churrasco no Espeto" heißt hier die Spezialität im Lande Rio Grande do Sul!
Dazu werden viele Salate (Kohl/Kartoffeln = Couve/Patatos) und selbstgebackenes, Reis (von Porto Alegre), Maisgerichte und hausgemachte Teigwaren/Nudeln in "Unmengen" in vielen Variationen gereicht. Kuchen & Gebäck und starker bras. Kaffee runden den Festschmaus ab. Nur bei den Getränken scheiden sich die Geister zwischen bestem Bier "Pilsener Art" aus Brasilien und/oder den famosen Weinen aus der Region ("Vale dos Vinhedos"; bei Bento Goncalves in der Serra Gáucha). Natürlich darf das "Nationalgetränk", aus dem bras. Zuckerrohr gebrannter "Schnaps" mit braunem klebrigen Rohrzucker und hier "freiwachsenden" Limetten auf Eis gekühlt serviert, nicht fehlen: "CAIPIRINHA"! (*1).
Es gibt hier beste Qualitäten des Cachaca (Zuckerrohrschnaps = Aquadente de Cana), aber auch mindere Industrie-Qualität fürs "billige" Besäufnis. Mit Rhum zubereitet heißts genüssliche Vergnügen der Brasilianer "Caipirissima"; mit Vodka "Caipirosca"; der reine Zuckerrohrsaft -ohne Alk.- heißt Caldo da Cana; für uns gewöhnungsbedürftig.
Üblicherweise werden eine Unmenge an alk.-freien, leckeren (unbekannten) Getränken aus Früchten oder als Frucht-Mix gereicht. Oswaldo ist aber fürs Richtfest auf Cerveca der Marken "Brahma" oder "Kaiser" geeicht (0,7 ltr. in der Flasche), die unter/in Gélo (=Eiswürfel) eiskalt gehalten und serviert werden.
Dazu dann lustige Geschichten und die ersten nachbarschaftlichen "Kontaktversuche" mit unseren wenigen "richtig" ausgesprochenen brasilianisch/portugisischen Worten, Gesang und... natürlich eine Vielzahl von Musikstilen als "Stimme des Herzens".
Nach 8 Tagen in der "Neuen Welt", etwas an Leben in der Pampa, das uns bislang gut gefällt und über die Fremdheit hinweg hilft. Denn, obwohl eine Vielzahl der hiesigen "Nachbarn" in MoRe und Pelotas deutsche Familiennamen haben und stolz die deutsche Herkunft als Pioniere damit beweisen, spricht doch kaum einer hier die deutsche Sprache oder versteht unser port.-bras. "Kauderguarani" (=Kauderwelsch in brasilianisch!).
Allzusehr hat der II. Weltkrieg und die Edikte des damaligen bras. Präsidenten Vargas (1942) die deutsche Sprache und gelebte Kultur ausgerottet. Nur die Alten der Einwanderungswellen sprechen noch -etwas- "deitsch" und leben in der Vergangenheit des "früher" oder "damals". Die heutigen Enkel und Urenkel sind endgültig Brasilianer und wollen englisch lernen - sprechens hier im Gebiet aber doch selten. (siehe auch: Riograndenser Hunsrückisch.)
Es ist also für uns Ältere ohne entsprechende portug./brasilianische Sparachkenntnisse, sehr, sehr schwer, bei der meist jg. Bevölkerung Kontakt zu bekommen oder am "ges. Leben" teilzunehmen, unsere notwendigen Geschäfte zu erledigen - zu "überleben"!
Um mich in einen Weinkeller (=Adega) zu verlustieren, muß ich bis Caixas do Sul oder Bento Goncalves per Bus ca. 300 km nordwärts, ca. 4-5 Std. reisen und vor Ort "unterkommen". Es wäre daher gut, hilfreich und sinnvoll, wenn ich bald einen Angirú (guar. =Freund) und Vinhedo-Macher, statt... nur die hiesigen Bauern und Vaqueiros (=Viehhirten) kennenlerne. Hier sollte ich doch mal den TUPA (guar. für die "höchste Gottheit") anrufen und etwas opfern.
Um den richtigen Dreh (=Jeito) rauszubekommen, um im Vale dos Vinhedos gastfrei auf- und angenommen zu werden und nicht als lästige "Chato" (=Filzlaus; ursprg. für "Langweiler"/"Quälgeist") abgetan zu versauern!
Nun, als olle Weinnase werde ich mich bemühen und freundlich präsentieren. Oswaldo erzählte mir gestern, daß das hier wohl einst einen Weinanbau - vor ca. 60 oder 80 Jahren - gegeben haben muß. Denn einer seiner bäuerlichen Nachbarn hat noch riesige hölzerne Weinfässer "geerbt" und die sollen in einer Scheune vergammeln.
Wenns Richtfest und einige dringende Arbeiten an der Casa Grande in Kürze abgeschlossen sein werden, werde ich zur "Chato" mutieren und mich nitt genieren, Oswaldo zum "Pfadfinder" in Sachen Weinanbau/Suche nach verschollenen Wingerten zu engagieren! Wenns um "Reinen Wein" geht und wies hier mit der Weinanbau-Möglichkeit steht, lässt mich schon zum "Quälgeist" (=Chato!) werden.
Wenn nur nicht der nun strömende Regen -eigentlich ein Segen für die hiesige Landwirtschaft und staubige Gegen - wäre. Regen fällt selten, aber heute zum Richtfest völlig unpassend!
Viel Arbeit, eine emsige Vorarbeit aller Frauen hier in der Anbau-Küche. Gerüche von gartenfrischen Kräutern und div. Gewürzen betörte meine neugierige Nase und stimulierte mich aufs fröhliche Fest hier im alten Haus (Carioca auf guar.) Feiern ist aber im neuen Haus, genau wie der vorbereitete Schmaus die Tradition. Und unser Gastgeber und stolzer Bauherr Don Oswaldo - ein Coronel in dieser bäuerlichen Gegend und Gemeinde - scheint doch nun etwas nervös geworde. Denn "Gottes Flur-Segen" tat ihm nun nitt grade (uns aber auch nicht!) passen. Als eine geschätzte und wichtige Persönlichkeit ist sein Rat und freundliche (Nachbarschafts-)Hilfe sehr gefragt. Um so mehr, weil er Auslandskenntnisse, -Wissen und -Kontakte bis nach Europa hat; er, der Coronel auf dem "Runden Hügel" (=Morro Redondo) in der Pampa (RS) von Brasiliens Süden.
Einen Fleischgeschmack und Qualität, wie wirs aus Deutschland nicht -mehr- kennen, dazu ein herrliches, frisch-chremiges Bier und freundlich-fröhliche Menschen. Und dann war die olle Weinnase bereits um 20:00 Uhr im Bett seinen Gaucho-Träumen "erlegen".
Einer der Caipirinhas war wohl zuviel!!!
CpS
(*1) "CAIPIRINHA" = Velho Barreiro (von mittlerer "Stärke") Auténtica:
Die Basis fürs bras. "Nationalgetränl" zum heutigen "Richtfest" in MoRe:
Aquardente de Cana Adocada "Hofer" (1873), doppelt gefiltert und im Holzfass gereift (38% Alk.) für 3,75 RS (www.tatuzinho.com.br), 0,91 ltr.
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