24.10.2008
Tach aber auch!
"Der Mensch denkt und Gott lenkt!"
Diesen (Lehr-)satz habe ich schon von meiner Großmutte Martha, einer tiefgläubigen und grundgütigen Frau und Witwe gehört. Bis an die 90 Jahre alt wurde sie, als sie nach falscher -mangelnder- ärztlicher Behandlung starb.
Mir tat sie sehr fehlen. Und noch heute, nach über 40 Jahren nach ihrem Tode, denke ich sehr oft an sie und ihr vielen Erzählungen aus ihrere Jugend der Kaiserzeit des Deutschen Reises in "Glanz & Gloria" und dem Hurra der Kriegszeiten zweier Weltkriege. Von den vielen Auswanderern, die nach Nord- und Süd-Amerika etc. auswanderten - der herrschenden Not gehorchend. Von den großen Dampfschiffen der Hamburg-Amerika-Linie, dem ersten elektrischen Licht, einem herrischen Kronprinzen, der Deutschlands letzere Kaiser wurde. Von den Millioenn Toten und Vermissten, von einer Umwelt und Natur, von der ich dachte, die ich wohl nicht kennenlernen würde, von den Pferden und Fuhrwerken und dem Leben der bäuerlichen Welt.
Und vom Glanz und Pracht der Weltstädte Berlin, Köln und Paris. Und von ihrere Sehnsucht, diese Welt in Richtung einer neuen, besseren Welt, jenseits der Ozeane, zu verlassen. Auszuwandern, wie so viele der anderen ihrer Zeit und aus ihrer -verwüsteten- Nachbarschaft. Als jg. Frau hatte sie es von der uralten Hafen- und Hanse-Stadt Danzig (heute Polen) bis an den Rhein geschafft. In Düsseldorf fand sie ihre große Liebe, meinen in den ersten Nachkriegsjahren, nach Siechtum verstorbenen Großvater Peter und blieb über 63 Jahre im gleichen Haus in Düsseldorf-Derendorf, nahe dem Arbeitgeber meines Großvaters Peter, den Rheinmetall-Werken wohnen und wurde Rheinländerin statt "Brasilianerin" und evtl. "Stammmutter" eines deutschstämmigen Clans.
Denn Brasilien -oder Argentinien- war ihr "Traumland" in den damals schweren und wirren Jahren eines Deutschen Reiches.
Eine "klassische" Auswanderung unsererseits in unserem Alter, die kam nicht in Frage. Wohl aber die -berechtigte- Überlegung, wie und vor allem WO wir unsere restliche uns noch so verbleibende Zeit ver-/erleben wollen. So "aus dem Vollen schöpfen" und ein Pensionär-Dasein "an einem Faßwein" lebend? Nein, dies kann es nicht sein, denn die deutsche Rente ist dazu zu klein.
Mit den geringen Ansprüchen an eine geregelte Versorgung, ohne Ängste und große Sorgen, dies sollte für uns schon möglich sein. Und so ließen wir uns auf das Experiment, den Be- und Versuch in Brasilien, den "europoäischen" Süden des Bundeslandes Rio Grande do Sul ein. Die Einladung eines deutschstämmigen Bauern im kl. Ort in der Pampa, dem hügeligen Gras- und Weideland, die nahmen wir an. Und nun leben wir auf/in einem alten Farmhaus in >Morro Redondo< (="Runder Berg/Hügel") abseits aller Routen und ganz ohne die Tourismus-Errungenschaften.
Die nächste Kreisstadt, mit ausreichenden Versorungseinrichtungen, Geschäften und Anbindung per Fernbussen >Rodevaria-System< ist die kleine Universitäts- und Handelsstadt Pelotas. Mit dem gelegentlichen Regionalbus für 6 R$ p.Per./Fahrt in ca. 1 Std. erreichbar über die hier noch übliche Sand- und Knüppelpiste(n)! Der Ort MoRe, ein weit zergliedertes Dorf mit einem kleinen, alten Hotel, einigen winzigen Geschäften und einem Supermercado, ein paar landwirtschaftlichen Ausstattungsfirmen und 'ner Bankfiliale (ohne Wechsel- oder Creditkarten-Service), zwei Kirchen (ev./rk.) nebst seltsam anmutenden Friedhöfen, 'ner Tankstelle und etwas Basaltpflasteurng aus der Kutschen- und Karrenzeit und... hab' ich noch etwas vergessen?
Unglaublich, wesentlich mehr gibts nicht. Nur den Dorfklatsch, das "deitsche Leit" unten im Passo do Valdez bei Don Oswaldo logieren. Wie fremd und "komisch" müssen wir hier für die "Heimischen" aus der Alten Welt, der längst vergessenen Heimat der Vorväter wohl wirken? Obwohl wir hier freundlich-hilfsbereit auf- und angenommen werden, fühlen wir uns sehr fremd. Wie in einer Zeitreise, so um 60/80 Jahre rückwärts!
Wer sie noch kennt, die US-"Familien-Saga" der "Waltons", im TV-Serien-Abend, der erkennt sich hier wieder. Nur hier bleiben uns die "Gute-Nacht"-Wüscnhe von Little John, John-Boy und Jim-Bob und all den doppelnamigen Akteuren erspart. Aber das Farmleben, das Dorfdasein und unser Leben hier in der Pampa, dies gleicht sich frappant. Sogar einige Wagen aus den 40iger bis 60iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts rumpeln hier noch rum. Sonst ist der Bauer noch mit Pflug und Egge hinter vorgespanntem Gaul, die bereifte Kutsche und der Reiter, ein gewöhnliches Erscheinungsbild im Gaucho-Land.
Und hier, oder in der Nähe soll nun unsere neue Heimat sein. Hier wohnt man zwar ruhig und friedlich aber -noch- ohne (den geplanten) Weinanbau!
Da der Neubau der neuen Casa Grande von Don Oswaldo schleppender als vorgesehen verlief. Sein Zeitplan aus dem Ruder lief und der findige "Bauanführer" nun die nächsten Monate in der Obst-Plantagen-Fabrik sein solzialversichertes Auskommen finden will - und muß; ruht, sehr zum Verdruss des Land- und Bauherren der Bau und wird wohl erst zum nächsten Sommeranfang in Brasilien total bezugsfertig werden. Solange müssten wir's für uns so vorgesehene alte Gebäude mit Oswaldos Familie teilen. D.h. gemeinsam dort leben - mit getrennten Küchen zwar, aber eine Belastung wäre es.
Die Idee kam auf, hier eine leerstehende alte "Hütte" etwas herzurichten. In "Rufnähe" zum Komplex des Degen-Clans das alte Stein-Häuschen "aufzumachen" (mit Dusche u. WC) und Nutzung eines kl. Gartens/Hoffläche, dies wäre nun die Alternative. Eine neue Perspektive für unsere Zukunft hier im Dorf am Flüßchen Valdez, in sanften wie grünen Hügeln der Pampa.
Noch kann ich mich mit dieser ungeplanten Veränderung nicht sonderlich anfreunden. Aber.... noch eine unvorhergesehene Änderung in der Lebensplanung von Don Oswaldo und seiner charmanten Eveli hat stattgefunden und uns überrascht. Zur grade gewesenen Grande Fiesta erfuhren beide Jubilare, daß es die Mutter von Eveli - hochbetagt (94!) und krank, ohne umsorgende, dauerhafte Pflege so allein, rund 400 km an der argentinischen Grenze, wohl nicht mehr macht. Und quasi so "über Nacht" wurde in der Familie ausgemacht, daß das alte Mütterlein nun als Pflegefall sein Dasien in Morro Redondo statt in Sankto Angelo haben soll. Und die Tochter Eveli die zeitraffende Pflege übernehmen und die alte Dame mit in den Haushalt -vorerst im alten Farmhaus- aufnehmen soll.
Und so ist hier in einigen Tagen kein Platz mehr für uns. Eveli muß ihren gutbezahlten Arbeitsplatz aufgeben. Beide wollen es so und die arg kränkelnde Mutter und Groß- sowie Ur-Großmutter in versorgende Obhut aufnehmen. So wie es bei den Familien-Clans und der Familie Degen, hier im bras. Süden -noch- so üblich ist.
Das uns angebotene Ersatz-Quartier ist doch sehr... morbide und müsste erst hergerichtet und mit dem notwendigsten an Einrichtung und Mobilar ausgestattet werden. Eine weitere Belastung des nun "rotierenden" Bau- und Bauernhof-Jeffe, die nicht geplant war und auch uns betrifft. Ob wir dies Wagnis mit dem Angebot eingehen und unsere Planungen aufgeben? Noch weiß ichs nicht und geh mit mir ins Gericht und benötige doch noch mehr Zeit und Übersicht. Nur... die hab ich nicht und bekomme ich auch nicht!
Brigitte ist da etwas pragmatischer und nicht so abgeneigt, hat sich ihre Stellungnahme gezeigt. Ich bin mir aber noch immer nicht so sicher... kann ich >so< und hier und noch mehr im Abseits genügsam leben? Vermag ich dieser Art des Lebens für mich einen Sinn zu geben? Wenns denn auch mit meiner restlichen Planung(en) auch nichts geben wird?? Wollen wir dann -kann ich dann- den "Hausstand" in Düsseldorf aufgeben und ganz in Brasilien leben???
Und um so einiges mehr tut sichs Gedankenkarusell nun rasend schnell drehen. Ein Gedanke an meine mir sehr lieb in Erinnerung gebliebene Großmutter und ihre Art der Sicht der Dinge kam mir in Erinnerung= "Der Mensch denkt, doch Gott lenkt!".
Wieder hat uns das Schicksal in den letzten 10 Jahren eine gewaltige Änderung "beschert". Stets haben Brigitte -nun meine Ehefrau seit 7 "verflixten" Jahren- und ich die Herausforderungen und Widerungen angenommen und extrem "harte Zeiten" gemeinsam ausgehalten und Ärgernisse und Verluste überwunden. Oft hat sie mich dabei Trost und Mut spendend die Sonne wieder scheinen lassen. Mich mit ihrer Stärke und Gemüt aufgerichtet und... "schon" habe ich -wir- neue Dinge gesichtet und unser Schicksal gemeinsam gemeistert.
So... und nun gehen wir in der Pampa spazieren - den weiten Horizont sehen!
CpS
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