Weinnase in Brasilien 2008

XXXIII. Man(n) kann sich schon leicht vertun!

05.11.2008

Bom dia!

"Oi" ("Euh"), damit wird sich kurz zugerufen "hallo" oder "hey" oder "Alles OK?". Das ist der einfachste Gruß, den man sich freundlich zu jeder Zeit entgegenruft. Oder bloß den Daumen nach oben gestreckt! Also... "Oi", wie stehts?
Mit nun 34°C im Schatten und bei wolkenlosem, azurblauen Himmel, freuten wir uns grade über den etwa die Hitze mildernden, leichten Abendwind auf der schmalen Hausterrasse des alten Farmhauses. Den restlichen Tag, außer der Mittagszeit, in der wir unsere Gastgeberin und so fleißige Bäuerin mit einem "italienischen" Mittagessen bewirteten, verbrachten wir unter den jeweils schattenspendenen Bäumen -bei gelegentlichem "Stellungswechsel" als "Schattensucher"- und taten den Tag so verträumen. Zwei anstrengende Reise- und Erkundungstage haben dies als Erholung gefordert - mein Kreuz und Po taten mir vom stundenlangen foltern im Rumpel-Bus und auf sandig-staubig-heißen Pampa-Pisten doch etwas weh!

Fafa, unser Haus-, Hof- und Kettenhund freute unsere Anwesenheit und gab dies durch Kapriolen und Schwanzwedeleien -erregt- kund. Er tuts auf "brasilianische Hunde-Sprache". Und die verstehen wir auch.
Brasilianisch ist eine sehr "blumenreiche" Sprache mit portugiesischem Stamm. Melodiös und wortreich. Es "wimmelt" nur so von "Bom's" und "Bem's", womit irgendetwas Gutes, oder Nettes, freundliches folgt und sich nach dem Befinden, dem Gelingen; halt fast alles mit behaftet ist. Ohne wenigstens rudimentäre Sprachkenntnisse ist man (fast) überall aufgeschmissen. Deutsch oder englisch verstehen/sprechen selten die uns begegnenden Menschen. Weder in der Stadt, geschweige auf dem Pampa-Lande.
Meine Sprachversuche haben schon einen "Volltreffer" gelandet. Als vor Tagen Paulo-Cäsar, der Majordomus auf der Farm (="Mädchen für Alles!") zum Mittagessen kam und es zum Dessert wieder die "bilderbuchschönen" Erdbeeren gab, fragte ich den netten Kerl, ob er, der Morengo (=Mulatte) denn auch so gerne die herrlich schmeckenden süßen Früchte möge. Kaum hatte ich meine Frage begonnen, schwieg alles am Tisch... und Sekunden später wars allseitige schallende Gelächter - besonders vom erst erstaunt dreinschauenden Tischnachbarn, Paulo-Cäsar, da. Ob meines verdutzten Gesichts, wurde mir dann von Don Oswaldo erklärt, was ich denn so "seltsam" verschleiert gefragt hatte: "Morengo cane Morengo", bedeutet, ob er, der "Braune", denn gerne "Braune" essen würde! Da hatte ich beim letzten Wort "gepatzt" und aus >Morango<, der Erdbeere, den "braunen Menschen" gemacht. Noch Tage wurde über mein Mißgeschick, und mir 'ne Peinlichkeit, oft gelacht und Schabernack mit mir gemacht. Tja, so über Nacht lernt man diese doch für uns Deutsche recht schwierige Sprache -Aussprache- doch nie.
Fest vorgenommen haben wir uns, dieser Situation für die Zukunft abzuhelfen, und, wenn wir wieder im Lande weilen, uns mit Hilfe eines Sprachkursus zu beeilen, uns doch sicherer und wohler in Brasilien zu fühlen und mehr am Leben teilzunehmen. Ich werd' mir dabei alle Mühe geben. So 'ne Peinlichkeit möchte ich nicht nochmal erleben - und in "Frieden" so freundlich wie bisher meine Mitmenschen und Nachbarn erleben!
Statt "Sarapatel" möchte ich "Salgadihos" vor mir auf dem Teller haben = ein leckeres, tortenartiges Gebäck mit unterschiedlichen Beilagen. Denn "Schweine-Innereien", die mag ich auch in Brasilien nicht wieder freundlich und preiswert bekommen! Da ist mir selbt das preiswerte "Comercial" so völlig egal (preiswertes und überaus üppiges Mittagessen für 4,50 R$ incl. einem Erfrischungsgetränk (="Refrigerante"!) !!

Allerdings esse ich gerne aus dem Dachziegel ="Na Telha"; etwas typisch brasilianisches auf heißem Dachziegel aus dem Ofen/vom Grill (=grelhado) serviert, und ungerniert genießend. Das "Schwarze Bohnen mit Reis" DAS brasilianische Nationalgericht ist, dürfte bekannt sein. Das Brasilien aber, besonders hier in RS ein bedeutender Reisproduzent ist, dies war mir völlig -unerwartet- unbekannt. Und der Reis schmeckt besonders aromatisch und gehört zu fast jedem Mittagstisch - ob mit oder ohne Fleisch und/oder Fisch!

Und noch etwas sollte man(n) meiden: Ein Motel (in ganz Brasilien) als eine der us-amerikanischen Art eines der preiswerten Hotels zu buchen/zu besuchen! Es ist immer ein sog. "Stundenhotel", besonders zur langen Mittagszeit stark frequentiert und nicht i.d.R. von gewerblichen Damen in Begleitung aufgesucht. Hier treffen sich -unverheiratete- Liebespaare und genießen die "kurze Freiheit" vom elterlichen zuhause. Oder die Pause wird von anstrengenden Arbeitsalltag -ohne Kinder- so zur Entspannng genutzt! "Comér uma Mulher" (="eine Frau essen) ist auch eine Art es Mittagsgenusses!
Daneben gibts das für das "übliche" Nachtleben, im Rotlichtviertel ("Zona"), so wie überall auf der Welt, für Geld, in den "Baates" und "Cabarés", genügend - mehr oder weniger junge Begleiterinnen. Kein Brasilianer käme auf die Idee, diesen Frauen übel nachzureden oder abfällig zu behandeln. Berühmte Literaten, wie z.B. Jorge Amado, verklärt die bras. Hure "mit Herz und Verstand", als gelebten Teil seines Heimatlandes. Aber... kriminalisiert werden sie nicht; auch nicht die vielen Transvestiten, die mancher Frau die gekonnte Schau stehlen!
"Sex-Tourismus" (=Kinder-Prostitution) ist unübersehbar. Eine auch -nachträglich- in der BRD der Strafverfolgung gem. STGB unterliegende Tat. HIV ist eine sehr weitverbreitete Seuche, die der Staat kaum bewältigen/verhindern kann; besonders bei Sex mit Kindern!
Wer "Breha" oder "Gay" ist, hat in Brailien kaum Vorurteile und kann mittlerweile recht "frei" und offen sich, auch gesellschaftlich, bewegen ohne im Macho-Land nun Aufsehen zu erregen. Genauso wenig, wie die allerknappste Bikini-Trägerin an fast jedem Strand so typisch brasilian. -nicht nur in Rio am Ipanema- nicht mit "Liebesdamen" zu verwechseln sind! Diese knackigen Girls und sportlichen Boys sind ein Teil des brasilian. Lebensausdrucks: Sport, Spass und Mode; von jedem etwas ist hier die -freizügige Körpersprache- angesagte Lebensart! Und dazu die passende Natur als Kulisse im steten Sonnenschein (u.a.) der Copacabana. Und über all dem "bunten" Treiben, breitet die 38 m hohe und 1145 t schwere Statue von Christus in einer Toga, seine -28 m Spannweite- Arme von höchsten Berg (710) Rio de Janeiro, seinen Blick auf den Jugend-Reichtum, aus! Der Blick von hier, dem Corcovado, ist auf -fast- jeder Postkarte und vielen Filmen als Symbol von Rio-Brasilien zu sehen. Und dies seit dem 12. Okt. 1931!

Brasilien ist nicht nur ein "junges" Land, es ist auch das Land wo die "Joren" =Jugendlichen und Kinder eigentlich im Mittelpunkt vieler Bestrebungen des Staates sowie Familien stehen. Dennoch leben -meist in den großen Städten- viele dieser Generation "unterhalb" jeglicher Armutsgrenze(n)... auf den Straßen und in Parks. Armut ist auch hier die Brutstätte für (Banden-)Kriminalität und Prostitution. Der Bras. Staat verspricht schon seit längerem, alles gegen diese Verhältnisse und für die grundlegenden Verhältnisse einer nachhaltigen Änderung zu tun. Caritative Organisationen und Kirchen mahnen die Einlösung solcher Versprechen ein und schreiten selber, erfolgreich, gegen die immer stärkere Kinderarmut und Bildungs- =Chancenlosigkeit seit Jahrzehnten ein!
Politiker predigen "Wasser" und genießen selber besten und teuersten Wein - es änderte sich bisher nichts wesentliches. Was auch den Zulauf bei den Sozialprojekten und Sozialbewegungen, wie den "Hemdlosen" oder den "Landlosen" in Massen erklärt. Da nährt Brasilien seine nächste Generation der Unterpriveligierten, besonders bei den gebeutelten indiginen Völkern und dem afro-brasilianischen, hohem Bevölkerungsanteil im Norden des riesigen Landes. Die Favelas sind der Armengürtel um die Städte der Reichen und erreichen schon heute unglaubliche Zuwachs-/Zuwanderungsraten aus den verarmten Land- und Urwaldgebieten!

Wie aber diesem chaotischen "Verarmungssystem" nachhaltig Einhalt gebieten? In einem der ressourcenreichsten Länder der Erde, wenn nur 6 % der -meist "weißen"- Bevölkerung sich nicht sehend, was auch auf sie zukommt, verhält und an "alten Werten" und überproportionalem Reichtum und exorbitantem Gewinnstreben durch Ausbeutung -meist noch staatlich gefördert und "beschützt"- seit nun über 500 Jahren festhält??
Brasilien teilt hier leidvoll das Schicksal aller Latein-Amerika-Staaten und gilt unter diesen noch als sozial vorbildhaft und ungemein fortschrittlich, sogar als "reich"! Man kann sich mit seiner Kritik leicht vertun, wenn man das riesige Land nur als Reisender, Tourist mit europäischen Augen betrachtet. Denn es gibt in einigen der 26(27) Bundesländern seit einiger Zeit beachtenswerte Hilfs- und Bildungsprogramme -so auch in Süd-Brasilien- den Familien mit bekannten Problemen nachhaltig zu helfen. Selbst das kleine Morro Redondo hat sog. "Casas Popular" errichtet und unterhält ein funktionables Schulsystem mit "Schulbus-Angebot", das die Schüler auch aus den abgelegenen Weilern und Gegenden kostenlos "aufsammelt". Schulspeisungen werden angeboten und sportlich-kulturelle Veranstaltungen ebenso. Es ist also mehr die Arbeit "im Kleinen", die hier Erfolge -zwar noch bescheiden- zeigt und sich weiter entwickelt. Und jeder "aktive" Kommunal- und Landespolitiker muß sich dem stets stetigen Druck seiner Bevölkerung -direkt und unmittelbar- stellen. Die politischen Organisationen und Parteien sehen hier die zu erfüllenden Maßstäbe und zwingen zur Verantwortung und anthroprozentrischem Handeln der demokratisch Gewählten. Oft genug werden solche Aktivitäten und Programme von der fernen Staatsregierung in Brasilien ignoriert und die sich "Engagierten" im Stich gelassen!
Korruption ist Kriminalität. Und offiziell unter Strafverfolgung stehend. Dazu sagte man mir, dies würde nur auf dem Papier stehen und dies sei knapp und teuer. Also beließe man es bei den bloßen, vielen Worten und sehe sehr, sehr selten einen Korrupt-Kriminellen vor dem Kadi stehen. Und noch seltener bis nie lange ins Gefängnis gehen!

Aber... auch bei uns, in unserer Republik der Deutschen wachsen die Bananen und es scheint, hier wie dort, in einem fort um die selbe Sache mit der "selben Masche" zu gehen - nur ums Geld und damit verbundene Macht für sehr wenige, die sich selber für Priviligierte und "Ausersehene" halten. Die Frage der Um- und Durchsetzung der sozialen Gerechtigkeit ist doch so alt wie die Geschichte der Menschheit. Und immer noch ist sie -ein wohl bleibendes- Problem "Nr. 1" in dieser, unserer modernen Welt. Das es auch anders, für alle Beteiligten sozial-verträglich und profitabel dazu gehen kann, dafür ist grade das Land Brasilien ein Beweis: Das Sozial-Konzept der Jesuiten in "ihren" Guarani-Missionen hat dies an 125 Jahre erfolgreich gezeigt. Gier-Neid-Dummheit hat das s.Zt. so gelungene "Reich Gottes auf Erden" zerstört, weil eine solche Sozial-Gemeinschaft unter Gleichen wohl keinem Reichen gefallen kann. Er wäre hier völlig fehl am Platze und "unnütz"!

Die Geschichte der "Sieben Missionen" ist den Brasilianern geblieben. Die Jesuiten auf Geheiß von Königen und Papst vertrieben. Die imposanten Ruinen der sog. "Reductiones" zeigen ein deutliches Bild, zu was ein solches fortschrittliches System und "Selbstverwaltungs-Organisation", aus dem Nichts einer Wildnis heraus, in so kurzer Zeit und ohne "lohnende" Investitionen, schaffen kann. Aber nur weil "raffen", eine Schande, in solch einem aufblühenden Lande verurteilt und abgelehnt wurde und der wirtschaftliche Erfolg allen und der Gemeinnützigkeit, als solidarische Nutzung, zur Verfügung stand. Nur ein solches Gemeinwesen von weitblickendendem Verstand hatte einst einen solchen Bestand.
Nur drei Armeen dreier "Nachbarstaaten" (Argentinien, Uruguay und Brasilien) erreichten in verlustreichen, unrühmlichen (Ab-)Schlachten das Ziel der Reichen Kasten und europäischer Monarchie! Das Volk der indigenen Guarani versank in Phlegma und Agonie. Es "erholte" sich bis heute - "unbedeutende Restbevölkerung" lt. bras. Lesart - nie von diesem Völkermord!!

Der stumpfsinnige Indio in seiner Bretterhütte, am Straßenrand - teils betrunken von billigem Industrie-Fusel ist solch eine sichtbare Folge und nicht, wie "angeklagt wird", selbstverschuldete Armut aus Faulheit und Dummheit zu Lasten der Allgemeinheit im (östlichen) Brasilien-Staatenbund. Diese >Resignation einer Nation der Ur-Völker aus Not<: verursacht aus grausamer, mörderischer Habgier europäischer Eroberer und heutiger Ausbeuter der ihnen nicht gehörenden (Natur-)Ressourcen zum Wohle sehr weniger Macht- und Reichtum-Inhaber, vermeintlicher Rechte sich bedienend!

Dies ist meine simple Meinung, der ich noch einges hinzufügen werde, wenn ich mir weiteres und "sicheres" Wissen erwerben konnte!

CpS


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