Weinnasen Pilgerreise 2004

Schon mal neben der Loreley gesessen?


20.-24.10.2004 (in 4 Nächten erlebt)

... und "furz-nüchtern" dabei gewesen.

Dem "Loreley"-Rheintal gewidmet!

"Gott kann mich nicht leiden", sagte sie mir.
Ernstlich, klar und deutlich. "Menschen wie mich kann keiner leiden", ergänzte sie den ersten Satz. Ungerührt. Auch ob meines verwundernden Anstarrens, ließ sie nicht ab, mir das Gespräch zu "oktroyieren"!
"Geh' bis zum Rhein. Da kommen die nicht hin, wenn du bis zum Rhein kommst und dich übersetzen lässt, bist du sicher!" redete sie weiter. Ohne irgendeine Rührung, Bewegung in ihrem Gesicht. "Geh nicht über Koblenz sondern bis Goarshausen, und dann mit der Fähre rüber. In dem engen Rheintal können sie keine ihrer >Jäger< einsetzen".
Ich verstand sie nicht. Redete mich einfach an, woher ich käme und wohin ich... "flüchten" wollte. Mit dem Wort >flüchten< konnte ich nichts anfangen. Aber bevor ich fragen konnte, was sie denn mit "flüchten" meine, ging's wieder los, ihr Gefrage, wohin ich "flüchten" wollte. Ob ich Angst hätte, ob sie über'n Rhein noch kämen, fragte sie mich. Immer noch starr geradeaus blickend. Etwas in der linken Hand haltend saß sie nun grad 5, 6 Minuten neben mir auf der im warmen Sonnenlicht stehenden Parkbank. Die Bank stand an einem kl. Uferstreifen einer Parkplatz-Anlage am Rhein.

Auf der anderen Seite sah man die Weinstadt St. Goar mit ihren neugotischen Kirchtürmen in voller Sonne liegen. Hier, auf diesem Parkplatz auf der gegenüberliegenden des Rheines, ging die Sonne grade weg. Von nun, so gegen 10/11:00 Uhr steht sie dann voll auf der mit Rebstöcken bepflanzten "Steilwand in Grün". Zwischen durch das gleichmäßige Grün ragte -schroff- ein grauer, bräunlich schmimmernder, nackter Felsvorsprung aus dem ordentlichen "Reihenbild" der Wein-Monokultur des Herzens des Mittelrhein-Weinanbaugebietes.
"Über'n Rhein kommen die nicht so schnell", hatte ich den Blick auf sie, redete, schaute ich über'n Rhein auf St. Goar, sah ich den "goldenen Wein" dort so deutsch-ordentlich beschitten, mit sehr wenig "Grünkleid", dort stehen, musste ich mich -wie gezwungen- zu ihr hinsehen.
"In Bacharach bin ich zu Haus. Da geh' hin. Meine Leute werden dich nett aufnehmen. Warte dort auf mich, bis ich wieder komm. Zurück in die Heimat."
Ihr Redefluß war jetzt unaufhaltsam. Ihre Figur war sehr zierlich, fast zerbrechlich wirkend. Etwas schmuddelig war ihre kpl. schwarze Kleidung: Rock, Bluse, Strickjacke mit Schalkragen und schwarze "stumpfe" Schuhe! Alt, verblichen und schäbig war's Outfit der Alten! Was sie in ihrer linken so krampfhaft hielt, konnte ich nicht erkennen. Wie etwas papiernes... mehr war nicht so genau zu sehen!
"Ob sie schon bei Köln sind? Oder Frankfurt?... Aber über'n Rhein gehen sie nicht, hat er mir doch gesagt", dabei war's erstemal 'ne Reaktion an ihr zu sehen: wie ein zorniges Mädchen hatte sie zum letzten Satzteil mit dem Fuß zum ausgesprochenen Satz im Takt aufgestampft.

Ich begriff nichts, nur datt mich die Alte nervte -wollte mit mir, meinen Gedanken und meinem zweiten Frühstück, dem täglichen Apfel (a apple a day, keeps the doctor away), allein die letzten Sonnenminuten auf der Bank am Rhein, sitzend   g e n i e s s e n !   Und dann hatte ich kaum mitbekommen, daß sie sich zu mir -ohne eine Frage, ob's frei seie, sich zu mir auf die Bank zu setzen- auf die Bank gesetzt. Genau an's andere Ende. Aufrecht und ruhig hatte sie die ersten Minuten neben mir sitzend zugebracht. Und still!
"Ob sie schon in Köln sind? Sie kommen doch daher! Haben sie welche gesehen?"
Wenn ich sie jetzt fragen würde, WER dann in Köln sein sollte -oder Frankfurt-, dann hatte ich eine aufgezwungene Situation, ein ungewolltes Gespräch mit 'ner ollen Schrulle am Arsch! Aber... wollt' ich datt? Näh, bloß nitt! Ruhe wollte ich haben. Mit Sicherheit nitt mir der komischen Alten nach nun fast 3 Stunden Tippelei am Rhein aufwärts, nun hier sitzen und quatschen!
"Und wohin wollen sie gehen? Kann man denn noch aus dem Ruhrkessel flüchten?? Und, haben sie die Russen gesehen???"

Den Apfel ließ ich liegen, neben mir auf meinem RuckZuckSack auf der Parkbank bei Goarshausen am Rhein. Unweit der Autofähre über'n Rhein in's jetzt sonnige St. Goar auf der linken Rheinseite, stromabwärts gesehen. Das kl. "Rheinstädt'chen" mit romantischem Flair und irre langer Weintradition. Mehrere hundert Meter hohe Rebhänge "umlagerten" diese kl. Stadt. Ab und an waren Felsen und Gesträuch/Wald zu sehen und der "Rhein Express" Koblenz-Mainz kurz -"rasend" und laut- vorbeiflitzend.
"Sehen sie" sagte die Alte zu mir... "sehen sie! Er war ja Soldat, als er bei uns in Ostpreußen stationiert wurde. Winzer hatte er mir als seinen ordentlichen Beruf angegeben. Nicht freiwillig, sondern gezogen, datt sei er, sagte er mir."
Und dann hält sie mir mit weitausgestrecktem Arm ein Foto mit ihrer Linken hin. Gezackter Rand, schwarz/weiß und arg erknittert. "Das isser" sagte sie, rutschte näher zu mir -Gott sei Dank- war der RuckZuckSack zwischen uns, "das ist mein Josef! Jupp hat er sich genannt bei uns auf dem Gut" sagte sie, leicht >müffelnd< neben mir sitzend. Den -befremdlichen- Geruch kannte ich und er erfüllte mich mit Abscheu: Es roch wie bei meiner Oma im Kranken-/Sterbebett mir ihrer Urinvergiftung. Kämpfend, an Inkontinenz leidend, aber so total bettlägerig liegend. So roch diese alte Frau mitr ihrer strähnigen, fettigen Haarpracht, >Frisur"Die kommen doch nicht über'n Rhein? Oder?" fragte sie mich wieder. "Die Russen kommen nicht über'n Rhein, hat der Jupp mir doch gesagt!" klang jetzt ihre Stimme etwas... "knatschig", statt "fragend" zu klingen!

Ich glaub's nitt... statt's Maul zu halten hörte ich's laut "NEIN" sagen. Ich hatte doch -ohne zu wollen- der Ollen geantwortet. "NEIN" hatte ich ihr geantwortet, es kämen keine Russen mehr. Die Rote Arme hätte die Ex-DDR verlassen und überhaupt, Russen kämen nur -bald- an den Rhein. Als reiche, superreiche Investoren und Weinliebhaber, Sammler exquisiter deutscher Rheinweine.
So erklärte ich anschließend mein kategorisches "NEIN" und betrachtete dabei das zerknitterte Foto, das einen jungen, hageren Wehrmachtsangehörigen zeigte. Lässig ein "Schiff'chen" auf'm Kopf. So... "vertraut" lächelnd auf dem Foto. Ein sehr hageres Gesicht. Ohne Bart und Falten. Ein junges Gesicht. Das Gesicht eines Rhein-Winzers sollte dies also sein. Jupp's Gesicht. In Ostpreußen wohl vor mehr als 60 Jahren -Kriegsende war Mai 1945!- aufgenommen. Im Hintergrund war ein großes, schloßähnliches Gebäude und noch ein Pferdegespann zu erkennen.

Das Foto wollte ich ihr grad über'n RuckZuckSack zurückreichen, da tat sie wieder, über die Bank rutschend, auf ihre Ecke der Parkbank zurückrutschen! Etwas "verhuscht" tat sie mich dabei anschauen... "Ob er noch lebt?" fragte sie mich leicht "verhuscht - panisch" anschauend. "Ob er noch lebt?" wiederholte sie. "Er war gerade 18 bei uns auf'm Gut geworden", ergänzte sie ihre Fragen. "Und mein Liebster isser geworden. An seinem 18-ten"! Ein leichtes Lächeln, Zucken, im runzligen Augenlid; kurzes -mädchenhaftes- "helles" Aufflackern kam von ihr rüber.
Und dann folgte ein scheint's "ausgestoßener" Wortschwall von ihr. Ihr Leben erzählte sie mir. Von dem großen, weiten See, an dem das Gutshaus -ihre Heimat- lag, erzählte sie. Wie schön's dort -friedlich- gewesen war. Und daß das "Alte Mädchen" neben mir, die 4. Tochter des Gutsbesitzer's, die jüngste und Lieblingstochter gewesen seie!

Von dem Trupp Soldaten, aus den Rheinland zu ihrem Schutz auf's Gut abkommandierte junge Männer, zum Schutz gegen evtl. aufmüpfige Fremdarbeiter aus Polen, Belgien und Rußland, sprach sie. Und von einem lustigen Sänger, der "Rhein-Wein-Lieder" in Uniform so schön "rheinisch klingend" sang - ihrem Josef, dem Jupp aus Bacharach sprach sie. Dabei nahm sie das fleddrige Foto wieder an sich!

Und von der tatsächlichen Bedrohung von den Russen, die noch >weit weg< erstmal waren, sprach sie. Und vom Jupp, der nun vom Gut weg sich den Russen -dazu abkommandiert- mit den anderen jungen Kameraden aus dem Rheinland- entgegenstellen >SIEGEN< sollte.
Dies erklärte sie mir, nun mit ängstlicher Stimme. Fast, als ob sie immer noch Angst >vor den Russen< hätte.
Die Trecks, die sie auf dem Gut verpflegten, brachten die schrecklichen Wahrheiten: Der Russe war in breiter Front durchgebrochen. Panzer und Tiefflieger hatte die Trecks auf der Flucht erheblich zu schaffen gemacht. Mehr als die Hälfte aller Fuhrwerke mit Müttern, Alten, Kranken, Greisen und Kindern wurden zusammengeschossen und blieben auf der Flucht. Alles flüchtende Zivilisten aus den Deutschen Ostgebieten: Flüchtlinge mit Angst vor den Russen und Polen!

Und von den überraschenden deutschen Angriffen >so hoffnungslos unterlegener deutscher -blutjunger- Soldaten< an der neuen Frontlinie sprach sie. Dort wo sie "ihren" Jupp kämpfend vermutete. Von den zerlumpten, gehetzten Menschen, denen Jupp und seine Kameraden wohl die Flucht weiter, und den Weg zum etwas abseitigen großen Hof-Gut gewiesen hatten. Von den tapferen Jungs aus dem Rheinland hatten die Flüchtlinge ihr berichtet. Und daß das Auftauchen der Einheiten doch tatsächlich in diesem kl. Bereich den russischen Angriff -die Offensive- gestoppt hatten. Mit sehr hohen Verlusten!
Und vom Entschluß der Onkel und ihren Eltern, mit den Versprengten die Flucht vor den Russen, Polen, Krieg und... sie wollten noch diese Nacht in Richtung Westen fliehen, sagte sie mir.
Die lauter werdende Front -Geschützblitze- und die schrecklichen Nachrichten, über die Kriegsgräuel hatten alle zum Aufbruch gedrängt, erklärte sie mir leidenschaftslos, in ihrem Gesicht keine Regung; leise, monoton sprechend.
Und das der Russe in der 3. Nacht doch noch sie, quasi überrollt hätte. Und wie die russischen Soldaten in ihren Wagen und Panzern -ohne auf sie im Treck zu reagieren- vorbeizogen. Nicht ohne vorher die Fuhrwerke mit ihren Menschen, durch Drohgebärden, an den Straßenrand zu zwingen. 1 Std. nur, sagte sie, dann waren die Russen in der 3. Nacht an ihnen vorbeigezogen. Kein Übergriff, kein Gemetzel, keine Toten, keine "wilden Tiere aus den Tiefen Asiens" waren über sie hergefallen. Der Treck zog ungeplündert und ungehindert in Richtung Westen weiter. In den gerade heftig werdenden Winter 1944! In Ostpreussen; über 1.000 km von Köln im Rheinland entfernt!!

Nun sehr fasziniert lauschte ich dem Singsang der Alten und war gespannt und gebannt von dieser präzisen Erzählung einer GROSSEN FLUCHT, die eine über 1.000-jährige Geschichte und Kultur der Deutschen dort "furios" beendete.
Die verdrängte, aus unserem damaligen Denken scheint's "verbannte" Vertreibung und Genozid an deutschen Zivilisten begann. Mehr als 20 Millionen (!) Menschen mußten diese Art der "Völkerwanderung", die die Nazi's heraufbeschworen haben, erleiden. Riesige, jahrelange "Flüchtlingsströme" zogen auch in's Rheinland, Bayernland, an Nord- und Ostsee und... weiß ich wo ca. 13. Millionen Menschen in Deutschland hinflüchteten oder vertrieben wurden oder -später- "Spätaussiedler" genannt wurden.
Hier von uns gar nitt so "brüderlich in Not" fair oder freundlich augenommen: FLÜCHTLINGE" Das "Schimpfwort" der Nachkriegszeit, ähnlich dem Ausruf... "Türke, Pole... AUSLÄNDER!"

Im Nachkriegsdeutschland meiner Kindheits- und Jugendzeit, herrschte "Flüchtlingsfeindlichkeit"; im "goldenen Aufbauland, dem Westen": Wir mochten sie nicht!!
Hier, wie ich in der "Gnade der Endzeit-Geburt" und "richtigem" Geburtsort, im Rheinland, als Sohn eines im Krieg/Gefangenschaft weilenden Kriegsverbrechers geboren wurde, kamen die meisten Flüchtlinge an/hin.
Von einer scheint's nie endenden Flucht. Städte deren Namen ich nicht kannte, Gegenden, Länder wo ich bis heute noch nitt war, zählte sie als Streckenverlauf -wie Perlen an der Schnur- auf. Und von den vielen Toten. Alte, Junge, Frauen, Mütter mit ihren Säuglingen, Krüppel, Verwundete. All' diese Toten aus ihrer Jugend bekamen durch ihre hastige Erzählung wieder ein "Gesicht"!
Und von den Nächten, als die Russen -nicht diese kämpfende Truppen, die sie s.Zt. in Ostpreußen so blitzschnell auf dem zu erkämpfenden Weg nach Westen >Berlin< überrollt hatten- nein, es waren die Soldaten, die all' die kleinen Städte vor, Berlin selber und bis zur Oder geplündert und erobert hatten. Sie kamen ungeniert, Nacht für Nacht mit dem Satz "Frau: komm!" sich das Recht einer Sieger-Soldateska nehmen. Wie's bei den Siegern, i.d.R. Männer, ja seit Jahrtausenden so üblich war und bleiben wird: Massenvergewaltigungen und "Seelenschändungen"!
Von den Schwestern, die alle nicht mehr bei Ihr waren, von den "Berlinern", die sie vertrieben hatten. Von den Auffang- und Flüchtlingslagern. Vom Mitleid einiger weniger Deutschen im Westen. Von ihrem Jupp von Bacharach am Rhein, der so jung und tapfer war.
Von all' dem was scheint's ihr Leben war! Vergangenheit, in der sie zu leben schien; die sie gefangen hielt! So lange schon nun!
Was macht das denn für einen Sinn, ihr zu erklären, daß es diese Russen nun schon lange nicht mehr gab!

Und deshalb sagte ich auch zu, sie auf ihre dringenden flehenden Bitten mit über'n Rhein zu nehmen, >JA< sagte. Sie mit auf die schützende, weil linke Seite des Rheines; die "Bacharacher Seite", zu nehmen. Dort wo sie dann bei der Familie im Weingut von Jupp in Bacharach wohl Sicherheit vor den Russen bekommen würde. Wohin auch ihr Jupp dann nach Kriegsende auch zu ihr kommen würde. Sein Versprechen auf eine Heirat zu erfüllen. Seine Liebe und Treue zu ihr wieder zu beweisen. So wie damals in der Nacht seines 18. Geburtstages auf dem "Großen Gut" in Ostpreussen. Die Nacht vor dem so frühen, kalten Morgen 1944, der den Winter und Jupp's Abschied auf dem Weg zur nahen Front, ihn von ihr und ihrer liebenden Umarmung, mit sich brachte.

Sehr bewegt hatte ich mir vorgenommen, dieses "Häuf'chen Elend" mit nach Bacharach, über den Rhein, mit der großen Autofähre, nach St. Goar -auf die (vor den Russen) sichere Seite- zu nehmen. Nicht allein sitzend und auf mich und meine Bemühungen, mir den sauschweren RuckZuckSack umzulegen, starrend, sollte ich sie auf der Bank an der Rheinfähre lassen? Nein, um alles in der Welt nicht!! Nein!!!
"Hier sitzt sie schon seit Jahren immer", sagte das Mädel mit derselben Haarfarbe wie Enie van de Maiklockjes, mit schrillem Outfit, gepierct und in black leather gepresst, zu mir.
"Hier finde ich sie immer, wenn sie abhaut, unsere >Gräfin aus Polen<" sagte sie, mich anlächelnd. "Hat sie sie auch breitgequatscht, sie wegen der Russen mit über'n Rhein zu nehmen"? fragte sie etwas -zögerlich- noch anschließend.
"Nein, nein, NEIN", sagte ich -verlegen- hastig auf ihre Frage und Lächeln, auf ihr Lippenpiercing stierend. So belog ich datt Supergirl vom Rhein. Eine Art "moderner Loreley" mit falscher Haarfarbe!
"Dabei haben wir keine Russen, sondern seit 20 Jahren die Polen hier. Arbeiten alle drüben bei den Weinbauern", redete sie weiter, nahm die alte Frau bei der Hand und sagte zu ihr... "komm, Gräfin, gibt watt Leckeres im Heim. Hmmm, lecker Fress'chen"! Dabei zog sie die alte Dame von der Bank hoch. Keine Regung im Gesicht, kein Erschrecken, kein Bedauern war ihrem schmalen, alten runzligen Gesicht zu sehen. "Sieht doch für ihre 78 und was sie alles mitgemacht hat, super aus?" Und datt die bislang noch jeden hier an der Parkbank "rumgekriegt" hat, sie mit nach Bacharach zu nehmen und mit ihr in der Gutsschänke eines bestimmten "Wein-an-bau-be-triebes" so abgehackt, bruckstückweise, sagte sie für die Winzerei "ihres" Jupp's!

"Aber..." wollte ich grad ansetzen ihr, der Punk-Loreley erklären, das hätte mir   n i c h t s   ausgemacht, wollte ich sagen. Das das olle Mutt'chen mir bloß leid getan hat. Ich eh' nix vom "großen Flüchtlingstreck" in den goldenen Westen, hinüber über den Rhein -in Sicherheit vor den Russen- wusste. Und mir das Schicksal der Flüchtlinge ja bekannt war. Schließlich waren die jahrelang, in der großen Werkswohnung von "Rheinmetall", bei uns zwangseingewiesen. Als es noch ein Vertriebenen-Ministerium, die "Russkie's", den kalten Krieg, die DDR, die UDSSR gab.
Und -viel später- die "Roten Lichter" in allen bundesdeutschen Fenstern zum nächsten Montag, so lange es noch eine "Mauer" gab: 01. November waren wir immer mit 'ner "Grabkerze" im Fenster, voll dabei!
Und das mein Vater mit Schiffen von Dänemark her, die kurische Nehrung bei Danzig unter tödlichem Beschuß der russ. Marine und Luftwaffe, ansteuerte und hunderte Flüchtlinge rausholte aus Ostpreussen. Und das meine Tanten - beide auf die Achtzig zugehend -Else und Hilde- diese Flucht von Danzig via Berlin nach Düsseldorf schafften. Von dem was sie - völlig ohne Schutz und Familie, sich als Mädchen auf dem "Großen Treck", Richtung Westen, machten. Den Russen als täglich tötenden Begleiter!

Dies alles wollte ich mit dem Satz, der mit dem Wort "ABER..." begann und... endete! Mein Rauschegold-Engel in schwarzem Leder und Kettengehänge, Piercings und "falscher" Haarfarbe, war mit meiner Geschichtenerzählerin auf dem Weg, von der Parkbank weg, zur Rheinuferstraße hin. "Ich arbeite dort" -der Finger zeigte vom Mädel auf ein Schild ALTERSHEIM hin- "als Pflegerin, mußt du wissen", sagte sie schelmisch: "Schwester Lore ist mein Name"!
Und dann stützte sie fürsorglich die schlanke, gebeugte Gestalt der alten Dame, die mir auf der Parkbank an der Rheinfähre bei Goarshausen - vis-a-vis von St. Goar - eine Stunde Zeit und -fast- die "Einladung" über'n Rhein "gekostet" hätte.

Entweder war diese seltsame Dame eine coole, Super-Geschichten-Erzählerin oder hatte sie mir wirklich die Wahrheit ihres nie enden wollenden Lebens erzählt. Denn so lange -datt hatt ich ja jetzt "kapiert"- >die Russen kommen< sie umfangenhaltend ist, wird sie wohl immer wieder aus der "Verwahrstation" für Debile und Greise am Rheine -auf der falschen Seite "zwangsweise" lebend; eingesperrt-   f l ü c h t e n .
"Du bist meine Loreley", hatte der Jupp ihr damals noch zum -letzten Kuss- in's Ohr geflüstert... "geh über'n Rhein nach Bacharach... da kannst du sicher sein. Da gibt's immer guten Wein von guten Leut'; meinen Leut..." hatte er ihr gesagt. Das "wahrheitete" sehr nach... edel für Führer, Volk und Vaterland sterbende "Helden in Uniform": Gymnasiasten aus dem Mittelrhein-Gebiet als letztes, verhetzten Opfer eines größenwahnsinnigen Osterreichers aus Linz; näh, nitt datt am Rhein! Und den guten Deutschen Bürgern, die dies jahrelang gutheißend - grad hier die Leut' vom Rhein - bejubelten und ihre Söhne dem sicheren -ehrenhaften, versteht sich- Tod an der Ostfront in Ostpreussen oder sonstwo, hergaben!

Ob's denn in Bacharach einen Winzer ein Weingut wohl gab, datt "einen Sohn 1944/45 in Russland gefallen", hatte? Dies waren meine Gedanken, als ich auf der Fähre in den gar nitt "goldenen Rhein" starrend, meine Tränen fallen sah. Verwirrt stellte ich fest, ich weinte. Etwas hatte mich grad, am sich entfernenden Ufer von Goarshausen am Rhein, betroffen -berührt-!
Welcher Mann kann von sich sagen, er hätte -furznüchtern- 2 mal die Loreley >leibhaftig< gesehen! Die Schiffer, Flößer oder Handelsleut, die die Loreley "gesehen" hatten -so sagt die uralte Sage- liegen alle im kühlen Grab des Rheins.
So wie unsere "Helden vom Rhein" in irgendeiner "kalten Heimat" verscharrt, verrecht; begraben im Feldgraben!

Als ich in St. Goar -so warm und sicher- in der prallen Herbstsonne liegend, ankam, wich die Kälte von mir. Langsam.
Aber dann fing ich in St. Goar am Rhein nach der Kirche zu suchen, deren Glockenklang ich auf der "falschen seite" lauschend gehölrt zu haben, mich erinnerte. Dort wollte ich beten, das Gott mir die Gnade der richtigen Geburt zur rechten Nachkriegszeit im Rheinland gewährt hatte. Welch ein bedeutsamer... Zufall!

Eure olle Weinnase
- auch in Bacharach mich, nach einem bestimmten Weingut, umsehend, suchend. On the road again; bedeutet dies nicht auch... Suchender zu sein: PILGER, der ich bin!


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