Weinnasen-Geschichten aus 2008

Von Kenntnissen und Verhältnissen und von Ali, dem Türken, in Derendorf (1960)


07.02.2008

Den ersten, den ich damals, vor ca. 45/48 Jahren "bei uns" in Derendorf sah, der hieß ALI. Und er war ein Türke. Ein türkischer Gastarbeiter, der bei uns auf der Ulmenstraße, mit seiner Frau Fatme, lebte. Unterm Dach, auf zwei kleinen Räumen und damals ohne Toilette und Küche. Dort "lebte" der Ali und Fatme so ca. 25 Jahre. Zunächst "verbesserte" sich sein Nachbarschaftsverhätltnis, sodann seine Wohnverhältnisse, mit stetig verbesserten Arbeitsverhältnissen im Gleichklang. Nur sehr mäßig verbesserten sich aber die Sprachkenntnisse von Ali und Fatme; aber von Ali waren die DEUTSCH-Kenntnisse deutlich besser als die seiner "hausfraulichen" Ehefrau Fatme!

Sonntag sah man Ali -nebst Ehefrau mit buntem Kopfputz (=Kopftuch!) in ca. 3 Schritt-Längen Abstand hinter Ali- auf obligatem Spaziergang durch unser gut-bürgerliches Viertel "schreiten" = spazieren, mehr... gravitätisch-majestätisch uns grüßend und lustwandelnd. Schrill-bunt schien uns das Outfit der Eheleute. Ich vermutete, wenns rosa Herren-Jackets und gelbe Hosen -damals undenkbar- gegeben hätte, Ali hätte sie dann, schlank und rank und von athletischer Gestalt, mit pechschwarzem, vollem Haar und mächtig-imponierendem Schnäuzer, stolz und mit Charme gerne getragen.
Der Arme! Keine Ahnung, daß der Sonntagsstaat für Knaben und Männer gleich, in blau, grau im Sommer und schwarz zu Festtagen "bestimmt" war! Bunte, aber gutgeschnittene Kleidungsstücke, nebst schrill-grell gemusterter Krawatte, dafür Fatme stets blau, im Sommer hellgrau oder festlich in schwarz gekleidet hinterher "dackelnd", so präsentierte sich allsonntaglich unser >erster Türke im Viertel< vor ca. 40 Jahren!

Die Vorliebe von Ali zu bunter Kleidung blieb, solange er "unter uns" als Gastarbeter blieb. Seine Sprachkenntnisse besserten sich, bis eine einigermaßen "erträglich"-verständliche Konversation- nachbarschaftliche Unterhaltung möglich war und wir, Ali und ich, so etwas wie Freundschaft schlossen: "Ich Ali, nix deutsch; du schreiben und lesen für Ali"!
So kam er oft zu mir, wenn er "Problem mit Post" und Briefe, Schreiben von Ämtern und Behörden und Fatme mir frisches, türkisches Gebäck gebacken hatte. Das obligate "Dankeschön"!

Eigentlich war ichs doch "schuld", daß der Türke Ali bei der IGM eines der ersten türkischen Gewerkschaftsmitglieder in dem Ortsverband und im Düsseldorfer Mieterverein für "die Stadt und das Umland" wurde!
Denn dort konnte er und Frau Fatme, dann als Mitglieder ja "kostenlos" Rat, Hilfe und Auskunft zu den von mir "übersetzten" Briefen und erklärten Problemen bekommen. Und dabei "tiefe Einblicke" in die deutsche Mentalität, Bürokratie sowie Rechtssprechung erlangen. Den gesunden Menschenverstand, so verstand ich seine türk. Argumentationen, den vermisste er wie ich sehr oft bei dem "Geschreibsel" und "Streithanseleien"!

Eine der ersten Versicherungen war die "Haftpflicht", die ich Ali und Fatme empfahl; und dazu 'ne Rechtschutzversicherung und später ein kpl. KfZ-Paket fürs erste auto, einen "Opel-Witz". Dem Stolz des Herren aus Anatolien. Und mit dem, und nicht mehr mit der Bahn fuhr er dann -stets nervös und der Wagen natürlich überladen- in den >fernen Orient<.
Die arme Fatme, zwischen WC-Topf und gebrauchtem -neuwertigem- Geschirr und Bettzeug eingeklemmt und ungehemmt weinend. Sie wäre lieber in ihrer mittlerweile renovierten und "modernisierten" 2 1/2 Zimmer-Wohnung, bei meiner Oma unterm Hausdach in Ruhe und gemütlich geblieben, statt mit Ali -nervös und streitsüchtig- für ein paar flüchtige Urlaubstage in die Türkei, zu seiner Familie zu fahren!
Und dies belastete die Ehe "unserer" Türken schon seit Jahren: alles für die anatolische Sippschaft von Ali in Deutschland zu sparen, bloß um nach <???> Jahren dann in eine -fremdgewordene- "Heimat", weit weg vom liebgewordenen Rhein zu fahren. Als "Rentner" und Deutsch-Türke dann auf alle Annehmlichkeiten, sogar Freundschaften und intakten Nachbarschaften zu "verzichten", um wieder im "Land der Anatolier" als Fremde = "Alemanschi" zu leben und zu sterben!
Fatme liebte meine Großmutter und nannte sie "Oma Mahtah" (=Martha!) und Ali mochte "Altbier" und genoss seinen Status als "1. Türke am Niederrhein" im kl. Viertel von Düsseldorf. Nur ca. 18 Min. fußläufig vom Rheinpark, wo ali und Fatme im Sommer oft picknickten und traurig auf die vielen Familien mit Kindern blickend. "Unsere Türken" beklagten -oft laut Allah preisend- ihre Kinderlosigkeit und die Sturheit deutscher Behörden. Sie lobten die deutschen, ihre Gründlich- und Sauberkeit und genossen die "Freiheiten" ihrer zweiten Heimat doch sichtlich wie schicklich als Muslime und die "Ehrlichkeit" der Menschen in ihrem Viertel.

Noch Jahre, nachdem der "1. Türke von Düsseldorf" mit seiner Frau Fatme "nach Hause" fuhren, bekam meine Oma noch ungelenk geschriebene Briefe aus Anatolien; im letzten war ein Zeitungsausriss, auf dem in türkisch zu lesen stand, das Ali -"unser Türke"- bei einem Verkehrsunfall seinen frühzeitigen Tod in einer ihm fremdgewordenen Heimat, jenseits des Bosporus gefunden hatte.
Vom türk. Gemüsehändler "ums Eck" wurde uns der Artikel übersetzt und wir bedauerten - beide/alle hier im Viertel am Spichernplatz, den Tod unseres Nachbarn und Freundes aus/in der Türkei! Was aus der Witwe Fatme wurde? Wer weiß dies aus der Ferne schon?

>Schlußbetrachtung<: Ali und Fatme hatten unser aller Achtung "erworben" und sind wohl als Nachbarn in der Türkei gestorben!
CpS


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