02.03.2008
Meine kindliche Einsamkeit, lfd. Hausarreste als Strafen für geringste nachtsamkeiten = "Verfehlungen" und die mir eigene Neugier ließ mich lesen. Schon bevor ich zur Schule dirfte. Gerne wäre ich noch früher zur Schule gegangen. Denn op dä Scholl hätt' ichs noch besser und schneller gelernt. Fürs Leben gern: L E S E N, L E S E N und nochmal lesen. Alles was erreichbar und verständlich für mir Knirps war, würde "verschlungen".
Denn wenn ich las, erhielt ich auf phantasievolle Art und Weise den Zugang zu einer anderen, neuen oder fernen Welt. Und konnte "fliehen". In "meine Welt": LOMMER JONN sagte ich mir (niederrhein. für "lasst uns gehen"!) und schon begann ein neues "Abenteuer", erhielt ich "märchenhafte" Bilder zu sehen, konnte ich mich in der "Welt" der Erwachsenen "umsehen", lernte ich dabei ein breites und weites Verständnis für mich und meine Umwelt zu entwickeln und war daher oft "meiner Zeit" voraus. Ein "altkluges" Kind wurde ich, ein Naseweiss, ein oft gehasster Besser- und Alleswisser. Als >WALEX< wurde ich in meinem Bekanntenkreis gehänselt: "Wanderndes Lexikon"!
Für mich hieß lesen aber auch fragen, nachfragen, nach Bedeutungen und Erklärungen suchen. I.d.R. mehr als Andere, gleichaltrige und Heranwachsende zu hinterfragen. Und für mich ein, natürlich wie spielerisch, fundiertes "Allgemeinwissen" zu entwickeln sowie mich zu "spezialisieren". Bestimmte Lektüren fesselten mich mehr als andere. Themen, nicht gerade und immer kindbezogen oder schlicht verboten, forderten quasi meine LeseLUST!
Daraus entwickelte sich - für mich unbemerkt - mein Anderssein, meine eigene Sicht der Dinge, die die mich abstrafenden Erwachsenen als blosse "Eigensinnigkeit" unisono verurteilten. Als ein ganz und gar unmögliches Kind, als ein "Enfant terrible" (=schreckliches Kind!) kam ich zur -damals- "Kinderschule" (=Vorschule mit Kindergarten) und vorzeitig in die 1. Klasse einer Nachkriegs-Vorschule von nur (schwankender Zahl) 12/13 Rabauken (="wilden" Jungs = "Straßenkinder"), die konfessionsgebunden unterrichtet wurde. Katholisch. Meist von entnazifizierten, pensionierten Lehrern oder knappst ausgebildeten, weiblichen Hilfslehrerinnen. Geeignetes Lehrpersonal war, damals in der "schechten Zeit", genauso knapp wie Zigaretten und Lebensmittel (auf Bezugskarten nur i.d.R. erhältlich) und in Gefangenschaft "schmachtenden" Väter!
Mutter war die, die den Vater ersetzte, die "Restfamilie", den Sohn und (kränkelnd-frömmelnde) Großmutter Martha durch harte Fronarbeit im Akkord mehr schlecht als Recht ernährte und sich nach dem im Gefangenenlager in den NL (Bergwerk; "unter Tage"!) hausenden Mann und Vater "verzehrte" und sehnte!
LESEN war DER Schlüssel für mich, und meine mir so eigene Phantasie, in andere Welten, Zeiten und Kulturen und... "Umstände des Besseren" zu gelangen. Nur so konnte ich einer für mich unerträglich scheinenden Realität in der Biederlichkeit meiner Familie entfliehen. Zumindest zeitweise auch den überstrengen "Gesetzen" meines Vaters, Herrn und Offiziers mit einem Burschen/Knecht als mißratenen Sohn. Einen Sohn, der Flausen im Kopf hatte, seine Phantasien verstecken mußte und stets im Abseits der väterlichen Beachtung -Liebe- verbrachte. Und der um Anerkennung bei seinen Schulkameraden stritt. Mit enormen Wissen und die "Fähigkeiten", für Mitschüler die Schularbeiten zu erledigen: Übermäßiger Fleiß als Mittel zur Anerkennung!
Klein von Wuchs und in fast allen "Kreisen" immer der Jüngste - "DER BABY" - (wie mein alter Schulfreund Rudi mich immer nannte) zu sein. "Gebraucht" aber nicht wirklich gemocht zu werden. Dies war so mein Gefühl in der Kindheit und Jugend.
Wenn ich las, war ich aber frei und konnte in jede Rolle wechseln, verschiedene Protagonisten darzustellen und Wissen aus fast allen Gebieten aufnehmen. Ein breites Spektrum an Wissen und Gelesenem konnte ich mir so vor meinem Studium erwerben. So wars mir sehr leicht, ein Wirtschaftsstudium mit wenigen Semestern zu absolvieren. Mit dem Professor für Steuerrecht und einem Komilitonen machte ich mich dann mit seiner Treuhand- und Wirtschaftsprüfungsges. m.b.H. selbständig.
Der Traum von der Schauspielerei war davor -schnell- geplatzt. Nicht schwul genug, keine Beziehungen und nur als "Knallcharge" wollte ich nicht auf die Bühne(n) gehen und konnte gegen die vermeintliche Konkurrenz der "Pretty Boys" nicht bestehen.
Mit meiner zweiten Berufung hatte ich schnell und außerordentlich guten Erfolg. Schon als Student und Assistent meines späteren Senior-Partners Manfred, einem selten fähigen WP und Lehrer an der Bundesfinanzakademie hatt ich sehr leicht einen exorbitanten Erfolg. Nach nur einem Jahr in der WP-GmbH konnten wir über 1 Mio. an Volumen verbuchen. Und ich MUSSTE lesen, lernen und mich ständig weiterbilden; autididaktisch und pragmatisch! Fachliteratur beherrschte meine Lesewelt. Und damit verdiente ich (leicht) viel, sehr viel Geld.
Natürlich las ich alles an Literatur und Zeitschriften eines modernen Bildungsbürgers Anfang der 70-iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Was ich als Früh-"68iger" las, war aber nicht vergessen. Ich war davon besessen, in der Welt die nötigen Änderungen mit anderen "Besessenen" herbeizuführen. Wir lasen Anfang der 60iger dieselben Bücher und Schriften und später, die Urteile in dieser, unserer Nachkriegs-Republik über uns und unsere Genossen. Philosophen aus -fast- aller Welt nur verschieden interpretiert, wo es doch darauf ankommt, sie zu verändern.
Und so lese ich, öfter heiterer als früher einmal, weiter und ändere mich dabei langsam selber: Hin zum gütigen Greis? Wer weiß?
CpS
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